Der Green Deal ist ein enorm wichtiges europäisches Projekt zur Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft hin zu Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. „Die aktuellen Verwerfungen auf den Märkten durch gestiegene Energiepreise und unterbrochene Lieferketten zeigen allerdings die Mängel in der Krisenfähigkeit dieses Projektes“, mahnt Josef Plank, Obmann des Vereins „Wirtschaften am Land“. Gerade bei den vorgeschlagenen Zielsetzungen für die Land- und Forstwirtschaft können eine fehlende Balance zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen, Zielkonflikte und das Fehlen von zukunftsorientierten Maßnahmen die Situation im Agrar- und Lebensmittelbereich weiter verschärfen. „Der Green Deal ist sehr wichtig und richtungsweisend, doch seine Einzelstrategien lassen u.a. die Frage offen, wie eine effiziente Landwirtschaft gelingen kann, die Umweltziele erreicht und vor allem auch die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit möglichst hochwertigen Lebensmitteln sicherstellt. Es braucht einen stärkeren Fokus auf moderne Technologien und Maßnahmen, um eine Überforderung der Bäuerinnen und Bauern zu verhindern und zukunftsorientiert arbeiten zu können“, so Plank. Christian Stockmar, Obmann der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP), fordert mehr Gestaltungs- und weniger Verbotswillen: „Die EU-Kommission sollte optimale Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung von neuen Lösungen im integrierten und biologischen Pflanzenschutz schaffen. Zudem braucht es neben innovativen Technologien eine verbesserte Aus- und Weiterbildung sowie Beratung der Landwirte. Österreich kann hier Vorbild sein. Das sind wichtige Maßnahmen, um eine Reduktion des Betriebsmitteleinsatzes zu erreichen und stabile Erträge in volatileren Zeiten zu sichern.“
Plank und Stockmar betonen zudem, dass es eine umfassende wissenschaftliche Folgenabschätzung braucht, um die Umsetzbarkeit der Ziele zu prüfen und Zielkonflikte aufzulösen: „Der Green Deal sollte ein zukunftsfähiges Programm für die europäische Landwirtschaft sein, kein Damoklesschwert über den Köpfen der Familienbetriebe. Es geht um ein gemeinsames Gestalten und nicht einseitiges Drohen und Verbieten.“ Sie fordern daher:
- Die Ziele des Green Deals vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges neu zu bewerten und gegebenenfalls anzupassen. Dazu bedarf es einer umfassenden Folgenabschätzung, die auch Zielkonflikte klar benennen sollte.
- Eine Politik des Ermöglichens auf EU-Ebene. Wer Ziele formuliert, muss einen Weg vorzeigen und die entsprechenden Maßnahmen setzen, damit die Ziele erreicht werden können. In diesem Bereich ist die EU-Kommission säumig.
- Eine wissenschaftliche Vernetzung und einen Wissenstransfer, der die Grundlage für eine nachhaltige Transformation der Landwirtschaft schafft und sowohl Klimaschutz als auch Versorgungssicherheit ermöglicht.
Plank: Green Deal soll Landwirte nicht überfordern
„Gerade in letzter Zeit haben wir gemerkt, dass im globalen Spiel der Märkte durch Unsicherheiten schnell Verwerfungen entstehen, die auch der Konsument spürt. Versorgungssicherheit und sichere Lebensmittel sind deshalb das Gebot der Stunde! Im Kontext aktueller Entwicklungen darf sich die EU nicht selbst aus dem Spiel nehmen und vom Import abhängig machen“, so Plank. „In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass gut gefüllte Supermarktregale mit hochwertigen Lebensmitteln nicht selbstverständlich sind. Es gab Ernteausfälle bei Erdäpfeln und Rüben, Versorgungsprobleme durch eine fragile Lieferkette während der Corona-Pandemie und jetzt den Ukraine-Krieg, der die Märkte weiter in Atem hält. Bei wichtigen Agrarprodukten wie Mais, Weizen und Raps fehlen große Mengen am Weltmarkt. Die Konsumenten spüren das bereits jetzt an steigenden Preisen.“ Plank warnt, dass sich die Situation weiter zuspitzen könnte, da weiterhin keine Ernten aus der Ukraine und Russland auf den Weltmarkt kommen. Das hätte enorme Folgen in den betroffenen Regionen im Nahen Osten und Nordafrika.
„Die EU muss ihrer Verantwortung nachkommen. Eine zeitgemäße Landwirtschaft muss ressourceneffizient sein und sich den Herausforderungen stellen, die eine ungewisse Versorgungslage, der Klimawandel und der immer stärkere Arbeitskräfte- und Erntehelfermangel mit sich bringen. Der Green Deal markiert zwar eine wichtige Transformation der europäischen Landwirtschaft, er muss aber an realistischen Zielen ausgerichtet werden“, betont Plank. Dass das nicht der Fall ist, belegen mittlerweile fünf Folgenabschätzungen unterschiedlicher Organisationen und Institutionen. „Der Green Deal ist für den Bereich der Lebensmittelproduktion in der jetzigen Form deshalb noch nicht zukunftstauglich und wird die Bäuerinnen und Bauern genauso wie Konsumentinnen und Konsumenten überfordern. Die heimische Landwirtschaft kann nur dann nachhaltig weiterarbeiten, wenn sie auch ökonomisch erfolgreich ist. Es ist sehr wohl möglich, neben der effizienten Arbeit und der Erwirtschaftung von ausreichend Ertrag auch Klimaschutz, Artenvielfalt und Biodiversität zu ermöglichen. Dafür müssen allerdings die Ziele realistisch gesteckt sein – hier gibt es im Green Deal noch Nachbesserungsbedarf“, so Plank.
Fünf Maßnahmen zur Pflanzenschutzmittel-Reduktion: EU soll Rahmenbedingungen schaffen
Christian Stockmar betont, dass die Industrie bis 2030 insgesamt 14 Mrd. EUR in neue Technologien und biologische Pflanzenschutzmittel investiert. Sie hat zudem Maßnahmen formuliert, mit denen Einsparungen möglich sind: „Durch die Entwicklung neuer und innovativer Wirkstoffe haben die Landwirte einen vielfältigeren Werkzeugkoffer. Digitales Monitoring erlaubt zudem eine präzisere Ausbringung. Die Daten können in die Verbesserung von Prognosemodellen einfließen und die Warndienste verbessern. Sensoren und Einzeldüsen-gesteuerte Applikationsgeräte erlauben eine punktgenaue Ausbringung, ebenso wie die Bandbehandlung mit Herbiziden. Damit kann insgesamt ca. ein Viertel der Wirkstoffe eingespart werden“, unterstreicht Stockmar. „Um diese Maßnahmen umsetzen zu können, braucht es jedoch eine Politik des Ermöglichens, die die Forschung und Entwicklung sowie neue Technologien fördert. Nur dann können die Landwirte ihre Pflanzen gesund und die Versorgung mit hochwertigen Nahrungsmitteln aufrechterhalten.“
Stockmar: Braucht mehr Ehrlichkeit in der Pflanzenschutz-Debatte
„Volle Supermarktregale verlangen gesunde Pflanzen am Feld, die hohe Erträge und hochwertige Ernteprodukte ermöglicht. Eine wissenschaftlich nicht fundierte Reduktion des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes gefährdet jedoch gesunde Nutzpflanzen, da sie nicht mehr ausreichend vor Schaderregern geschützt werden können“, so Christan Stockmar. Die geplante Reduktion verschärft die aktuelle Situation weiter, denn seit 2014 gingen 84 der insgesamt ca. 350 Wirkstoffe verloren, was Lücken bei der Kontrolle von Erregern etwa bei der Kartoffel und beim Raps verursacht hat.
Es braucht einen sachlichen und ehrlichen Dialog, verweist Stockmar auf die aktuelle Statistik von EUROSTAT, wonach der Pflanzenschutzmittel-Einsatz in Österreich ansteigt. Bei genauerer Betrachtung konnten die Mengen an chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln seit 2014 jedoch um 22 Prozent gesenkt werden, während die Mengen bei für den Bio-Landbau zugelassenen Wirkstoffen gestiegen sind. Wesentlicher Treiber der Steigerung sind jedoch die inerten Gase – also CO2 –, die ausschließlich in der Lagerung von Ernteprodukten eingesetzt werden. Stockmar verweist zudem auf einen Zielkonflikt beim Green Deal bzw. bei der geplanten Verordnung für einen nachhaltigen Pflanzenschutzmittel-Einsatz (SUR): „Eine Steigerung des Bio-Landbaus bedeutet eine Steigerung der Pflanzenschutzmittelmengen. Bei der Kontrolle von Echtem Mehltau (Oidium) etwa beträgt die Aufwandmenge im Bio-Bereich das 70-fache des integrierten Bereichs. Hier braucht es dringend eine Korrektur, sonst haben die Landwirte zwei unvereinbare Ziele gleichzeitig zu erreichen.“